Gedanken zur Aufrichtung der Wirbelsäule
Einfach aufrichten?
Wie oft hat man diese Anweisung im Yoga-, Pilates- oder Sport-Unterricht schon gehört – „steh aufrecht!“. Aber wie macht man das?
Sich aufrichten, aufrecht Stehen oder Sitzen – das klingt doch eigentlich so, als ob man es einfach nur tun müsste. Von Kindesbeinen an hören wir, wir sollen „gerade sitzen“ – als wäre eine aufrechte Körperhaltung eine Position, die wir auf Kommando einnehmen können.
Die meisten von uns finden auf Kommando keine natürliche, aufrechte Haltung. Oft ist uns gar nicht klar, wie wir Aufrichtung in unserer Wirbelsäule erzeugen können. Und wenn doch, hindern uns eingefahrene Haltungsmuster und Körperstrukturen wie Muskulatur, Bänder und Faszien daran, eine aufrechte Haltung umzusetzen.
Warum überhaupt aufrichten?
Eine aufrechte Haltung ist kein Selbstzweck. Sie dient vielmehr dazu, dass alle beteiligten Komponenten wie Knochen, Muskeln und Bänder ihrer Struktur entsprechend genutzt werden.
Sorgt die Haltungsgewohnheit eines Menschen dafür, dass die Wirbelsäule in bestimmten Bereichen wesentlich stärker oder schwächer gekrümmt ist als vorgesehen, erfahren diese Bereiche eine stärkere Belastung und Abnutzung. Nicht selten kommt es dann in diesen Bereichen zu Bandscheibenvorfällen. Besonders häufig sind diese im Bereich der Hals- und der Lendenwirbelsäule.
Kopf und Becken steuern die Aufrichtung der Wirbelsäule
Generell bestimmen die Position von Kopf und Becken wie sich die Wirbelsäule verhält. Kopf und Becken können an ihrem jeweiligen Ende der Wirbelsäule eine kleine Einrollbewegung vollziehen, die die Wirbelsäule insgesamt sanft in die Länge zieht.
Diese Einrollbewegung bringt das Becken in eine aufgerichteten Position. Dadurch hat die Lendenwirbelsäule ein gutes Fundament und kann sich in einer feinen Biegung, ganz ohne Hohlkreuz nach oben schwingen. Ist das Becken nach vorne gekippt, steht das Fundament für die Lendenwirbelsäule schief und sie wird ins Hohlkreuz gezwungen.
Die Einrollbewegung des Kopfes zieht die Nackenpartie in die Länge und bringt die Gesichtsebene in die Senkrechte. Dadurch entsteht ein langer entspannter Nacken. Findet keine Einrollbewegung statt, kippt der Kopf nackenwärts und es entsteht ein „Hohlkreuz“ in der Halswirbelsäule.
Aufrichtung erfordert Impuls, Kraft und Nachgiebigkeit
Damit Aufrichtung zustande kommt, braucht es einen Impuls, Nachgiebigkeit und etwas Kraft. Der Impuls gibt die richtige Richtung vor, die betroffenen Strukturen müssen den Impuls aufnehmen und Nachgeben. Erst dann ist ein wenig Kraft nötig, um die aufgerichtete Position zu stabilisieren.
Gerade im Bereich des Nackens und des unteren Rückens sind Muskeln und Faszien wenig nachgiebig. Deshalb haben viele von uns zwangsläufig ein Hohlkreuz oder einen Hohlnacken. Diese Situation lässt sich nicht mit Kraft auflösen. Es ist ein gezieltes Wahrnehmen, Bewegen und Loslassen dieser Bereiche nötig.
Aufrichtung ist eine ganz persönliche Sache
Der menschliche Körper kennt viele verschiedene Strategien, sich der Schwerkraft zu erwehren. Manche Menschen geben sich der Schwerkraft ganz hin und lassen sich zusammensacken, so dass sie möglichst wenig Kraft für ihre Haltung aufwenden müssen. Andere kämpfen mehr als sie müssen gegen die Schwerkraft. Sie wenden für ihre Aufrichtung viel mehr Kraft auf als nötig.
Weil Haltungsmuster so individuell sind, ist es wichtig die eigenen Muster zu und Gewohnheiten zu kennen. Welche Position nimmt das Becken gewohnheitsmäßig ein? Wie ist der Kopf positioniert?
Erst wenn man seine Haltungsgewohnheiten kennt, kann man anfangen, diese schrittweise zu verändern. Ziel ist eine körpergerechte, mühelose Aufrichtung, in die Wirbelsäule optimal belastet wird.